Sonntag, 30. November 2008

Das Orakel von Delphi, die Pythia und das Zicklein

In seinem Buch "Das Geheimnis der Orakel" beschreibt Philipp Vandenberg einen merkwürdigen Vorgang vor der eigentlichen Wahrsagesitzung (die Seitenzahlen beziehen sich auf die Hardcoverausgabe von 1979):
"Die Prozession, voran zwei Propheten, die Oberpriester, da­hinter die Pythia, flankiert von den Hosioi, den Mitgliedern des vornehmen Fünfmännerrates, danach eine Schar einfacher Orakeldiener, hatte jetzt den Apollon-Tempel erreicht. Die Pythia legte jetzt ihren Purpurumhang ab, sie trug nur noch ein schlichtes, weißes, kurzes Kleid. Auf dem Altar der Hestia in der Mitte des Tempels loderte ein Feuer. Zwei Ora­keldiener schleppten ein lebendes Zicklein herein. Sie setz­ten es auf dem weißen Marmorboden vor dem Altar ab. Hilflos schaute es in die Runde. Da trat einer der Propheten hinzu und besprengte das Tier mit eiskaltem Wasser. Das Zicklein reagierte daraufhin mit Zittern. Das war sein Todesurteil, für die Priester aber ein günstiges Omen. Hätte das Tier die Wasserspritzer gelassen und ohne Regung hingenommen, so wäre dies als ungünstiges Vorzeichen gewertet und die Orakelbe­fragung für diesen Tag abgesagt worden." (S. 164 f.)
Vandenberg zitiert dann den griechischen Schriftstel­ler STRABON: "Man sagt, das Orakel sei eine lotrechte Höh­lung mit einer nicht eben großen Öffnung. Daraus steigt ein Dunst auf, der Entrückung hervorruft, und über der Öffnung steht ein hoch aufgerichteter Dreifuß; ihn besteigt die Py­thia, atmet den Dunst ein und prophezeit." (S. 178 f.)
Und dann PLUTARCH: "Auch glaube ich, daß es mit der Aus­dün­stung nicht immer und durchweg gleich bestellt ist, sondern daß manchmal eine Abnahme und dann wieder eine starke Zunahme stattfindet. Der Beweis, den ich dafür anführe, hat zu Zeu­gen viele Fremde und alle, die im Dienste des Heiligtums stehen. Denn das Gelaß, in dem man diejenigen, die den Gott befragen, sich niedersetzen läßt, erfüllt sich, nicht häufig und nicht zu bestimmten Zeiten, sondern von ungefähr in län­geren Abständen mit einem Wohlgeruch und einem Hauch ähnlich den Düften, die die edelsten und kostbarsten Parfüms entsen­den und die dem Allerheiligsten wie einer Quelle entströ­men." (S. 179)
Vandenberg selbst qualifiziert den Zicklein-Test als abergläubisches Ri­tual ohne jeden pragmatischen Wert ab ( S. 277). Was auch sollte die momentane Befindlichkeit eines solchen Jungtieres mit der Wahrsagekraft der Pythia zu tun haben? Und doch schildert er (S. 183) einen Vorfall, bei dem der Zicklein-Test nicht ernstgenommen wurde, was die Pythia das Leben ko­stete. Das Zicklein reagierte nicht und "die Pythia beobach­tete all dies mit Entsetzen". Sie war nicht einfach mißge­launt, weil heute der Zaubertrick nicht funktionieren würde, sie hatte vielmehr Schiß vor dem, was kommen mußte und dann auch tatsächlich kam. Nun liegt natürlich der Verdacht nahe, dies sei alles psychoso­matisch gewesen, Autosuggestion, self-fulfilling pro­phe­cy; sie glaubte, jetzt sei das Weissagen unmöglich und ge­fährlich und also wurde das Weissagen gefährlich und un­möglich, tödlich schließlich.
Lassen wir uns aber einmal auf die antiken Quellen ein, glauben wir, was sie sagen. Die Pythia stand demnach im Dienst unter Drogen, sie war angeturned durch betäubende Dämpfe, welche aus dem Erdspalt kamen (die Entstehungslegende des Orakels nimmt auf diese Dämpfe Bezug). Diese Dämpfe quollen of­fensichtlich recht unregelmäßig aus dem Erdspalt, versiegten aber anscheinend nie zur Gänze. Hielt sich die Ausdünstung im Rahmen, dann konnte die Pythia in Ruhe und mit Erfolg ih­rem Beruf nachgehen. Wie die Story von PLUTARCH zeigt (S. 183), war eine Überdosis des Stoffes aber äußerst gefährlich und - vor allem - sehr schnell gefährlich: "...sogleich aber bei ihren ersten Antworten merkte man, daß sie (...) von einem bösartigen Hauch erfüllt war..." (S. 184). Demnach wäre es zu gefährlich gewesen, die Pythia oder einen der Priester kurz mal probeschnüffeln zu lassen und dann erst die Show zu beginnen oder abzublasen. Einen Skla­ven oder sonst einen Wicht konnte man auch nicht nehmen, weil die Drogenhöhle ja heilig war. Also...
Also verfiel man auf den Zicklein-Test. In der Schilderung des Vorgangs durch Vandenberg (S. 164 f) findet sich kein Hinweis darauf, daß das Zicklein irgendwie ge­fesselt war. Man setzt es auf dem Marmorboden ab und es bleibt sitzen (oder stehen), läuft jedenfalls nicht weg. Demnach muß es auf jeden Fall ein biß­chen bekifft sein. Und war wohl auch leicht zu bekiffen, man mußte zum Test gar nicht hinunter in das Adyton gehen, die ca. 6 m Entfernung vom Hestia-Altar zum Erdspalt reichten aus für den Test. Wenn ich mich recht entsinne, haben Ziegen eine feuchte, empfindliche Nase, Jungtiere gleich gar sind schon mit sehr geringen Mengen an irgendwelchen Wirkstoffen zu be­eindrucken. Man nimmt also diesen hochempfindlichen Bioindi­kator (viel empfindlicher als ein erwachsener Mensch) und besprenkelt ihn nach der Exposition mit eiskaltem Wasser. Wenn das Tier dann nicht zittert, ist allen klar, daß es eine Überdosis erwischt hatte, das Weissagen für heute also zu gefährlich war.
Der Zicklein-Test bekommt unter diesem Blickwinkel einen äu­ßerst pragmatischen Wert. Auf ihn zu achten hat eine völlig andere Qualität, als das Verschieben einer Schlacht wegen einer ungünstigen Konstellation der Sterne.

Montag, 24. November 2008

Oh, Rakel!

Immer wenn Paddy O'Rakel mit Whiskey voll war bis zum Eichstrich kamen die Leute und fragten ihn nach Vergangenheit und Zukunft und er gab Antwort.

Sonntag, 23. November 2008

Jugend

In seinem Lied "Ooh la la" singt Rod Stewart
I wish that I knew what I know now when I was younger
I wish that I knew what I know now when I was stronger.
Ein alter Stoßseufzer, den ich auch in der Version "Das Dumme an der Jugend ist, daß sie an Kinder verschwendet wird" gehört habe.
Manchmal neige ich dazu, in den Seufzer einzustimmen, der Haken ist bloß: Es geht nicht, selbst wenn es ginge.
Wenn ich wieder zwanzig wäre, dabei aber alle Erfahrungen im Kopf hätte, die ich jetzt habe, dann wäre ich zwar zwanzig, aber nicht mehr jung. Dann hätte ich den Körper und die Leistungsfähigkeit eines Zwanzigjährigen, mein Verhalten aber wäre von der lahmarschigen Bedächtigkeit des Fünfzigjährigen.
Ein junger Mensch ist nicht nur deshalb so stürmisch, weil er vor Lebenskraft nur so übersprüht, sondern weil er von so verdammt viel Sachen so verdammt wenig Ahnung hat - glücklicherweise, da sonst manche riskante, aber sinnvolle und schließlich gut getane Sache von vornherein unterbliebe.

Donnerstag, 13. November 2008

Günter Bouteflika

Die "Süddeutsche Zeitung" behauptet, der lächelnde Herr sei der algerische Staatschef Bouteflika. Ich behaupte, es ist Günter Grass, der sich ein bisserl was dazuverdient.

Mittwoch, 12. November 2008

Bundeswehrsoldaten

Was dem Beobachter an der leidenschaftlichen Debatte über den Satz "Soldaten sind Mörder" am meisten auffällt, ist der Umstand, daß sie nicht stattfindet.
Das war nicht immer so. 1984 hatte ein Frankfurter Arzt das von Kurt Tucholsky geprägte Wort aufgegriffen, und damit eine viele Jahre dauernde, in den Medien und Gerichtssälen aus­getragene Diskussion entfacht. Die Leidenschaft der Diskussion war seinerzeit eine rein aka­demische, die Bundesrepublik Deutschland ein Staat im Frieden.
1994 entschied das Bundesverfassungsgericht für einen Verbreiter des Wortes. Dem Kern der Aussage vorsichtig ausweichend begründeten die Verfassungsrichter ihren Freispruch vom Vor­wurf der Beleidigung und Volksverhetzung so: Mit dem Begriff "Mörder" könnten Bundes­wehrsoldaten gar nicht gemeint sein, da "die Bundeswehr seit ihrer Gründung noch nicht an einer bewaffneten Auseinandersetzung teilgenommen (habe) und so noch niemand im Rah­men eines Krieges getötet worden (sei)".
Mit dieser Begründung wäre heute kein Prozeß mehr zu gewinnen. Peu à peu (und plan­mä­ßig) ist die Öffentlichkeit an die "ge­wach­se­ne Verantwortung" der "neuen Weltmacht Deutsch­land" gewöhnt worden, vom "be­grüßens­werten Sanitätseinsatz" in Südostasien über die "hu­­­manitäre Hilfs­aktion" in Somalia, bis zu den "kampf­be­glei­ten­den Aufklärungsflü­gen" in Bosnien. Die erste pazifistische Partei, die in Deutschland jemals in einer Regierung war, be­endete 1999 die Vorkriegszeit und ließ in Jugoslawien Bundeswehrflugzeuge erstmals mit­bomben. Die Teilnahme der Bundeswehr am Afghanistan-Krieg war danach bereits politi­sche Routine.
Die Rechtslage von 1994 stützt sich also auf einen Sachverhalt, der seit 1999 nicht mehr ge­geben ist. Inzwischen sind Menschen von Soldaten der Bundeswehr getötet worden.
Wie auch immer: Im Oktober 1999 tagte in Berlin eine Internationale Konferenz zum Thema "Kindersoldaten". Der damalige Außenminister Fischer hatte dort eine Rede gehalten, in der er sich - natürlich - schwer gegen Kindersoldaten aussprach. Er meinte, das sei kein Problem der dritten Welt alleine. Bei der britischen Armee zum Beispiel dienten ca. 6000 Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren. Man müsse das Mindestalter für den Militärdienst von jetzt 15 (!) auf 18 Jahre heraufsetzen. Es sei eine "Perversion", daß - jetzt kommt's! - Kinder und Jugendliche zu "Tötungsmaschinen" herangebildet würden.
Das Wort muß man sich auf der Zunge zergehen lassen! Wenn Kindersoldaten "Tötungs­ma­schinen" sind, dann sind es - so läßt sich zwanglos folgern - erwachsene Soldaten erst recht, weil sie ja größer, stärker und erfahrener in allen Künsten des Tötens sind.
"Tötungsmaschinen" - das vielumstrittene Wort von den Soldaten, die Mörder seien, hört sich dagegen fast wie eine harmlose Frotzelei unter Freunden an.
Die Brisanz dieser Formulierung von Fischer hat anscheinend damals keiner erkannt.

Kim Jong Priol und Wladimir Bond

Heute hab ich in der "Süddeutschen Online" gelesen, es habe der nordkoreanische Staatspräsident Kim Jong Il womöglich einen zweiten Herzanfall gehabt. Sollte das Leben dieses Politikers je einmal verfilmt werden, dann wäre der Kabarettist Urban Priol der Schauspieler, der Kim Jong Il mit dem geringsten Aufwand an Maske spielen könnte.



Daß der neue James Bond (ich kann mir den Namen des Schauspielers nicht merken, es ist auch wurscht) der ideale Darsteller von Wladimir Putin wäre, versteht sich sowieso.

Montag, 10. November 2008

Rohkost

Mitte der achtziger Jahre waren wir im Urlaub in einem Hotel in Italien. Es gab dort ein reichhaltiges Frühstücksbüfett, abends ein Salatbüfett - eine große Vielfalt an Gemüse, schön angerichtet - bei dem sich jeder aufladen konnte, was und wieviel er wollte, dazu Essig und Öl und Saucen nach Geschmack.
Nun muß ich vorausschicken, daß ich bis dahin nie ein großer Salat- und Gemüse-Esser war. Als Metzgersohn habe ich von jeher Fleisch und Knödel und sonstige deftige Speisen vorgezogen. Hier aber habe ich reichlich aufgeladen, und hätte manchmal auf das eigentliche Essen gern verzichtet, wenn ich dafür mehr vom Salat hätte essen können.
Und dann höre ich, wie am Nebentisch ein Mann in scharfem Ton zu seinem ca. 15jährigen Sohn sagt: "Die Rohkost wird aufgegessen!"
"Rohkost" - das Wort hat mich getroffen wie ein Schlag. Freilich, wenn man das Zeug "Rohkost" nennt und den Leuten aufzwingt, dann mag es freilich keiner mehr essen. Das Gemüse war hier für mich ein Genußmittel allererster Sahne, das Wort "Rohkost" aber schmeckt derart nach Verzicht, Vernunft und Gesundheit, daß es - bei Heranwachsenden gleich gar - semantischen Ekel vor endgeilen Sachen erzeugen kann.
Kinder, die regelmäßig den Salat stehen lassen, bekommen irgendwann keinen mehr vorgesetzt. Dann fragen sie eines Tages selber nach, wieso sie keinen bekommen, die anderen aber schon...

Dienstag, 4. November 2008

Ein Mann sieht grün

Ich muß gestehen, daß ich keinen grünen Daumen habe, noch nicht mal zwei linke. Blumen verwelken mir im Topf, obwohl ich sie gieße (vielleicht zu selten, vielleicht zu oft - Kakteen) und sogar gelegentlich dünge (vielleicht zu selten). Da ich aber nun mal seit fast 20 Jahren einen Garten habe (das Ding war beim Haus jeweils dabei, da kannst nix machen), muß ich wohl oder übel schauen, daß der Garten begehbar bleibt.
Merkwürdigerweise habe ich dabei entdeckt, daß mir das Mähen, Mooszupfen und vor allem das Bäumeschneiden Spaß macht und die Frage ist natürlich: Warum?
Ich erkläre es mir damit, daß Mähen, Zupfen, Schneiden hoch-aggressive Tätigkeiten sind, Verrrnichten, Zerrrstören, Verrrstümmeln. Das alles aber auf eine höchst beschauliche, meditative Art und Weise. Kein "Hu!Ha!-Schreien", kein Schaum vor dem Mund, nur vergnügt ein Liedlein pfeifend und über das Leben und die Welt nachsinnend.
Charles Bronson auf die sanfte Art.

Ein weiterer Artikel zum Thema "Beschauliche Gewalt gegen Sachen" findet sich hier.