Freitag, 6. Februar 2009

Gute Literatur ist immer aufwühlend

Nachdem Hans Sedlaceks Geschichte "Fahles Licht" erschienen war, reagierte die Fachwelt erfreulich aufmerksam auf den neuen Dichter, Sedlacek wurde zu Lesungen und Podiumsdiskussionen in kommunale Kulturzentren eingeladen.Anselm Korff, der unter dem Namen Hans Sedlacek publiziert, hat eine andere Variante - erfolgreich - ausprobiert:
Nachdem seine Geschichte "Fahles Licht" unter dem Namen Hans Sedlacek erschienen war, reagierte die Fachwelt erfreulich aufmerksam auf den neuen Dichter, Sedlacek wurde zu Lesungen und Podiumsdiskussionen in kommunale Kulturzentren eingeladen.
In München-Milbertshofen war nun zu einer solchen Lesung mehrerer Jungautoren erstmals ein überregionales Fernsehteam nicht nur eingeladen, son­dern auch tatsächlich erschienen. Nicht wegen der unbekannten Jungautoren, sondern wegen der lokalen Kritikerprominenz, die zu diesem Ereignis ihr Erscheinen fest zugesagt hatte.
Als Sedlacek aus seiner deprimierendsten Geschichte eine Szene von geradezu abstoßender Hoffnungslosigkeit las, gab er - vor laufenden Fernsehkameras! - auf eine ausgesprochen obszöne Weise ungezügelte Würgelaute von sich; Würgelaute, wie sie heftigem Erbrechen voranzugehen pflegen. Verwirrt, verzweifelt, zu der verzweifelt verwirrenden Geschichte passend, die er gerade las, sah sich Sedlacek um und griff dann nach einer wie zufällig neben ihm auf dem Boden stehenden Papiertüte.
Die etwas Älteren erinnern sich noch an die dramatischen Fernsehbilder, die damals in allen Feuilletons wieder und wieder gezeigt wurden; an die zahllosen Diskussionen darüber, ob man diese Szenen nun hätte zeigen sollen oder nicht - wobei man, der besseren Verdeutlichung wegen, diese Szenen neu und stets noch mal neu zeigte, in Zeitlupe und rückwärts, mit und ohne Ton.
Mit einem letzten, gräßlichen Würgelaut hatte Sedlacek die Papiertüte gepackt und dann hemmungslos seinen Mageninhalt in diese Papiertüte entleert. Anders ausgedrückt: Vor laufenden Fernsehkameras, während einer mit hochkarätigen Literaturkritikern besetzten Autorenlesung kotzte Sedlacek in eine Tüte. Das alleine wäre bereits eine Meldung in sämtlichen Feuilletons wert gewesen. Sedlacek aber zog nun, durch den befreienden Akt gesundheitlich sichtlich besser gestellt, aus seiner Rocktasche einen, wie zufällig dort sich befindlichen Löffel und begann vor den Augen des entsetzten Publikums - und vor laufenden Fernsehkameras, wie gesagt - die weiße Masse mit etlich darin befindlichen roten Brocken stetig löffelnd zu essen. Ein Gutteil des Publikums wurde erst blaß, dann grün; würgende Laute waren zu hören, die rasch an Zahl und Intensität zunahmen.
Der Sachschaden war beträchtlich. Zu den Reinigungskosten für den Versammlungsraum im Kulturzentrum kamen noch die jeweils individuell zu tragenden Kosten für Reinigung oder Wäsche der beschmutzten Kleidungsstücke zahlreicher Besucher der Veranstaltung.
Sedlacek aber war mit einem Schlag weit über München hinaus bekannt, wurde rasch zu einer bundesweit prominenten Persönlichkeit in der literarischen Welt. Kritiker sprachen von der "beklemmenden Intensität" seiner deprimierenden Texte, ein Kritiker wollte gar "immer schon" autokannibalistische Komponenten in Sedlaceks Werk gefunden haben.
Die Einladungen zu Lesungen mit anschließender Diskussion nahmen zu, schwollen an, wobei jeder Veranstalter, jeder Besucher einer solchen Lesung natürlich heftig abgestritten hätte, er hoffe auf eine Wiederholung des spektakulären Kotzmahles.
Sedlacek hütete sich natürlich, dergleichen zu tun. Zum einen, weil er nunmehr als seriöser Autor etabliert war, zum anderen - und vor allem - weil er fürchtete, man könnte ihm bei einer eventuellen Wiederholung des Tricks auf den in der Tüte zuvor versteckten Fleischsalat kommen.

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