Montag, 23. August 2010

Lange Rede, gar kein Sinn

Der - wie der Name schon sagt: schlesische - Mystiker Angelus Silesius (1624 - 1677) prägte einst das Wort: "Mensch, werde wesentlich".

Nun habe ich mit Mystikern normalerweise wenig am Hut, hier aber muß ich sagen: Genau!

In der Mitte der siebziger Jahre hörte ich die 6-Uhr-Nachrichten von "Stimme der DDR". Weil ich dachte, mich verhört zu haben, hörte ich sie mir um 7.00 Uhr nochmal an und nahm sie auf Band. Ich hatte mich nicht verhört, die Nachricht (sie ist hier vollständig wiedergegeben) lautete also:

Der Leiter der Abteilung BRD im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Karl Seidl, protestierte gestern gegenüber dem Leiter der Ständigen BRD-Vertretung, Günter Gaus, gegen bestimmte Aktivitäten der BRD-Vertretung, die im Widerspruch zu der getroffenen Vereinbarung über die Errichtung der Ständigen Vertretungen stehen und eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR darstellen. Diese Aktivitäten widersprächen auch Artikel 41 der Wiener Konvention über Diplomatische Beziehungen. die für die Vertretungen entsprechend angewandt wird, und nach der die Mitarbeiter diplomatischer Missionen verpflichtet sind, die Gesetze und Bestimmungen des Empfangsstaates zu achten und sich nicht in seine inneren Angelegenheiten einzumischen. Ein vom Leiter der BRD-Vertretung vorgebrachter Protest über Maßnahmen der DDR, die sich angeblich gegen die Ständige Vertretung der BRD richten würden, wurde von Karl Seidl entschieden zurückgewiesen. Er erklärte, alle Maß­nahmen der DDR dienten ausschließlich der Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung und beeinträchtigten in keiner Weise die Arbeitsmöglichkeiten der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR.

Ein ganz ungewöhnlich krasses Beispiel dafür, wie man eine Nachricht formulieren kann, ohne das mindeste inhaltlich mitzuteilen. Was man erfährt ist lediglich, daß etwas passiert ist, irgend etwas; daß nämlich die BRD-Vertretung bestimmte Aktivitäten entfaltet hat, welche Aktivitäten dann durch Maßnahmen (irgendwelche Maßnahmen) der DDR beantwortet wurden.

Die absolute Inhaltsleere dieser Meldung tritt jetzt (33 Jahre danach) noch viel krasser zutage als damals. Damals waren besagte Vorkommnisse täglich in der Zeitung und im Fernsehen, man konnte sich also schon denken, was gemeint war, heute müssen selbst Leute, die das seinerzeit noch direkt (über die Medien) mitbekommen haben, eine Weile grübeln, ehe sie draufkommen.

Bevor jetzt einer vor Neugier platzt: Es handelte sich darum, daß die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland viele DDR-Bürger in Rechtsdingen - vor allem die Ausreise betreffend - beraten hat, worauf die DDR jeden Besucher der Vertretung kontrollierte und namentlich erfaßte, bzw. die Erlaub­nis für diesen Besuch verweigerte.

Der eigentliche Witz dieser inhaltsleeren Meldung besteht aber darin, daß seinerzeit die DDR-Medien nichts, aber auch gar nichts über diese Vorgänge berichtet hatten, die immerhin mitten in Ost-Berlin, der Hauptstadt, stattfanden.

Der offensichtlich amtliche Verfasser dieser Rundfunkmeldung hat tatsächlich und ganz offiziell darauf vertraut, daß die DDR-Bevölkerung sowieso das schwer verpönte Westfernsehen guckt, so daß dumpfe Andeutungen längst bekannter Sachen genügen, um der peinlichen Informationspflicht zu genügen.

Nur die armen Dresdner im "Tal der Ahnungslosen" verstanden wieder mal nur "Bahnhof".


1 Kommentar:

  1. Sehr schönes Beispiel. Das gab es ja öfter, daß die DDR-Nachrichten Vorwissen voraussetzten, das man eigentlich nur aus dem Westfernsehen hätte bekommen haben können.

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