Ich bin so
informiert, daß ich nichts mehr verstehe
Ein Bild - heißt es - sagt mehr als tausend Worte, und so
ist die Möglichkeit zur Bebilderung eine feine Sache, die das Fernsehen dem
Radio voraus hat. Die Kehrseite dieser Möglichkeit ist der Zwang zur
Bebilderung. Das Fernsehen kann nicht einfach Schwarzfilm zeigen (1) in jenen Fällen, da das einzig
Interessante die Tonspur ist.
Dann aber berichtet ein Reporter über einen leckgeschlagenen
Tanker, der eine ganze Küstenregion verseucht hat. Die Stimme aus dem Off
erklärt dir, wie es zu dem Unfall kam und eigentlich willst du vor allem das
wissen. Zum Text aber siehst du ölverschmierte Wasservögel, die sich mühsam in
den nahen Tod dahinschleppen. Das fördert deine Konzentration auf den teilweise
abstrakten Text nicht.
Noch schlimmer ist es, wenn dir der Korrespondent die
unheimlich komplizierte politische und militärische Lage im Bürgerkrieg in
Weithintistan erklärt. Die Erklärung ist notgedrungen äußerst knapp und gedrängt,
denn mehr als ein bis drei Minuten hat er in der "Tagesschau" nicht
zur Verfügung. Während er spricht und du eigentlich voll drauf konzentriert
sein müßtest, siehst du gleichzeitig Leute, die um ihr Leben rennen, davon
einige vergeblich.
Wenn schon Bilder unvermeidlich sind, dann solltest du
eigentlich bloß den Korrespondenten sehen, der vor einem neutralen Hintergrund
steht oder im Studio sitzt. Aber er hat, wie gesagt, nur ein bis drei Minuten,
also muß er dir sein - interessantes, das zweifellos - Bildmaterial
gleichzeitig zu seiner Analyse übermitteln. Und wenn du diesen Bericht in einem
privaten Nachrichtensender siehst (was niemand, der noch einen Funken Verstand
im Hirn hat, tun sollte), dann läuft unter dem konzentrationsstörenden Kontrast
zwischen Bild und Ton noch ein Text über den Bildschirm, der sich mit einem
völlig anderen Thema befaßt. Und, als wäre dies noch nicht genug, laufen unter
dem Nachrichtentextband noch die Börsenkurse durchs Bild. Selbst wenn du es
schaffst, nicht bewußt auf diese Laufbänder zu achten, so stört allein die aus
den Augenwinkeln wahrgenommene Bewegung zusätzlich die Konzentration.
Wenn das nicht Wahnsinn ist, was dann?
Hier wird informiert und gleichzeitig die eigene Information
sabotiert.
In historische Dokumentationen, die ich früher sehr gerne
gesehen habe, haben sie inzwischen genau dieselbe Pest eingeschleppt wie in die
Nachrichten. Vor einiger Zeit habe ich eine Sendung über die Schlacht von
Waterloo gesehen (ich glaube, es war sogar ein öffentlich-rechtlicher Sender,
denn Privatsender schaue ich seit geraumer Zeit so gut wie nicht mehr, nicht
länger jedenfalls, als ein Furz dauert).
Während der Sprecher aus dem Off die historische Situation
schildert und analysiert siehst du Bilder, die anscheinend aus einem Spielfilm
stammen, darüber Musik. Du siehst Wellington am Spieltisch hocken, Napoleon
wütend die Treppe hochlaufen und dann wieder - immer noch wütend - die Treppe
runterlaufen, dann hebt ein Soldat das Gewehr und zielt genau in deine
Richtung, dann wieder Schlachtengetümmel...
So wirst du unter dem Vorwand von Aufklärung blöd gemacht,
kannst dich auf nichts mehr richtig konzentrieren und hast das meiste gleich
nach dem Ausschalten schon wieder vergessen. Psychologische Untersuchungen
bestätigen dies übrigens: Je mehr Information pro Zeiteinheit und über
verschiedene Kanäle vermittelt wird, desto weniger bleibt hängen. Da lob ich
mir den Rundfunk, da nehme ich mir eine Sendung zu einem Thema auf und höre sie
mir dann beim Abspülen an oder bei sonst einer Tätigkeit, die mein Hirn frei
läßt.
Dabei können Bilder, gezielt eingesetzt, so viel vermitteln.
Dazu müßte man aber, während das Bild da ist, zwischenzeitlich auch mal das
Maul halten oder das Bild so wählen, daß es genau zum Text paßt.
Sage keiner, das ginge nicht. Es gab mal im Bayerischen
Rundfunk diese wunderbare Reihe "Topographie" von Dieter Wieland (sie
wird auf BR alpha immer mal wieder wiederholt). Es geht dabei um Südtiroler
Urwege, Stadtbaukunst im Mittelalter, erklärt anhand von Dinkelsbühl, die barocken
Kanäle in und um München, die Burg von Burghausen... Informationen also, die
ich brauche, um die Welt von früher und jene von heute und morgen zu verstehen.
Das meine ich nicht sarkastisch, sondern durchaus ernst.
Dieter Wieland versteht was vom Thema, er macht nur Filme
über Dinge, von denen er etwas versteht und wenn er es nicht versteht, macht er
sich zuvor sorgfältig und gründlich kundig. Er spricht langsam (wenn auch nicht
langweilig) und bedächtig, er gibt dir Zeit, während des Zuhörens über das
Gehörte nachzudenken, ein ungeheurer Luxus und Komfort in diesen Zeiten. Die
Bilder, die er über das Gesagte legt, passen genau zu dem, was er grad sagt,
die Bilder sind ruhig, es gibt keine schnellen Schwenks oder Zooms, die
Einstellungen sind lang, so daß du tatsächlich sehen kannst, was du siehst und
nicht mit vorbeihuschenden Impressionen überschwemmt wirst. Wenn du den Film
gesehen hast, bist du schlauer als zuvor, man stelle sich vor.
Bemerkenswert,
wirklich sehr bemerkenswert ist, daß bei der Sportberichterstattung die von mir
geschilderte Wirrnis so gut wie nie auftaucht. Da passen Bild und Kommentar
genau zusammen, da laufen während des Berichts über ein Fußballspiel keine
Nachrichten über den Abfahrtslauf durchs Bild, darunter noch der neueste
Tabellenstand in der Handballbundesliga. Die größte Ablenkung ist noch, wenn
während des Interviews mit einem Trainer nach dem Spiel Fans ihren Kopf ins
Bild stecken und winken.
Kann das Zufall sein,
frage ich mich? - Ganz ernsthaft: Ist womöglich die manchmal irrsinnige
Reizüberflutung bei der Berichterstattung über den Zustand unserer Welt
Absicht? Kein Unvermögen? Will man - indem man vorgeblich Information satt
bringt - die Information bewußt verweigern?
(1) Warum eigentlich nicht?
lieber Wolfram,
AntwortenLöschender Bayerische Rundfunk hat eine Wielandseite mit vielen Videos eingerichtet
http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/unter-unserem-himmel/dieter-wieland-topographie-100.html
einen schönen Gruß
Schachnerin
Man kann sich nicht mehr an Bildern satt sehen.
AntwortenLöschenSchachnerin