Montag, 28. März 2016

Vom Sein und vom Bewußtsein

Religion und Krieg

Die Konflikte des Westens mit den islamischen Ländern und jene innerhalb der islamischen Länder haben mit dem Islam als Religion nur sehr wenig zu tun, es ist eine Sache, die an der Oberfläche abläuft.
Glaubt einer wirklich, daß Menschen Dinge tun, weil ihnen dies eine Ideologie, Religion, Weltanschauung oder Gesinnung vorschreibt? Echte und nicht nur gedachte Menschen handeln doch nicht deswegen so, wie sie handeln, weil sie in ihren (mehr oder weniger) Heiligen Büchern irgendwelche Textstellen finden, die ihnen auftragen, so zu handeln.

Achmed und Ali in einem Straßencafé in Gaza. Während Achmed ein Buch studiert schaut Ali den Frauen nach und grübelt dabei. Achmed schaut aus dem Buch auf und tippt auf die aufgeschlagene Seite.
ACHMED Hömma, Ali, hier drin steht...
ALI Wo drin?
ACHMED Im Koran. Im Koran also steht, man sollte die Ungläubigen erschlagen und von ihrem Land verjagen.
ALI Ach was? Das steht da drin?
ACHMED So steht das da. Und hömma, Ali, die Juden sind doch Ungläubige, oder?
ALI Äh... Ach. Im Ernst?
ACHMED Sowieso.
ALI Ja und, das ist ihr Problem, wenn sie dereinst in der Gehenna landen.
ACHMED Ali, du verstehst mal wieder gar nichts. Wenn die Juden Ungläubige sind, dann müssen wir sie erschlagen oder aus dem Land vertreiben. Das steht hier drin.
ALI Ach nö, Achmed, muß das sein? Es ist viel zu heiß und außerdem ist die Sache gefährlich.
ACHMED Da hast du recht, natürlich. Ich hab eigentlich auch keine Lust, aber wenn's nun mal in diesem Buch drin steht...

So läuft das doch nicht. Menschen wollen aus materiellen Interessen heraus etwas tun und sie suchen sich, nachdem sie bereits wissen, was sie wollen und dies auch unbedingt tun werden, nachträglich eine "ethisch höherstehende" Begründung für das, was sie tun wollen und werden. Das Schöne an Bibel, Koran und Thora ist ja, daß hier für jeden Willen und jedes Interesse an irgendeiner Stelle der passende Spruch steht. Und sollte sich der gesuchte Spruch dort nicht direkt finden, so findet man ihn mit Sicherheit in einem der Kommentare eines Rabbiners, Imam oder Papstes.
Und wenn die Religion eines jähen Tages urplötzlich aus der Welt verschwunden wäre, so gäbe es andere Bücher und philosophische Systeme, in denen man fündig wird.
Die Christenheit rüstete doch nicht zu den Kreuzzügen, weil man plötzlich in den Schriften entdeckt hätte, daß dies ein Gott wohlgefälliges Werk wäre. Nach der vorletzten Jahrtausendwende gab es in Europa eine Bevölkerungsexplosion, damit verbunden auch einen enormen Überschuß an Adeligen und Grattlern (also normalen Menschen), die nicht mehr recht versorgt werden konnten. Schickte man diese Leute ins Heilige Land, so könnten sie sich entweder dort eine Lebensgrundlage erobern oder aber sie würden zugrunde gehen und auch so das Problem des Bevölkerungsüberschusses lösen. Also sprach der Papst: "Gott will es" und man zog los.
Die Araber (und später die Türken) haben aus politischen und ökonomischen Gründen mehr als die Hälfte der Mittelmeerküsten erobert, nicht wegen des Korans. Dieselben Moslems, mit immer noch dem gleichen Koran haben im 18. und 19. Jahrhundert und noch während mehr als der Hälfte des 20. Jahrhunderts still vor sich hinislamiert, so still und bräsig, daß in Europa das Gerücht vom passiven und trägen Orientalen umzugehen begann.
So rum wird ein Schuh draus.
Wieder einmal Lichtenberg: "Man kann so gut für als wider einen Satz verblendet sein; Gründe sind öfters und meistenteils nur Ausführungen von Ansprüchen, um etwas, das man in jedem Fall doch getan haben würde, einen Anstrich von Rechtmäßigkeit und Vernunft zu geben. Es scheint, die Natur habe eine so nötige Sache, als ihr die Überzeugung beim Menschen war, nicht gern auf Vernunftschlüsse allein ankommen lassen wollen, in dem diese leicht betrüglich sein können. Der Trieb kommt uns dem Himmel sei es gedankt, schon über den Hals, wenn wir oft mit dem Beweis der Nützlichkeit und Nötigkeit noch nicht halb fertig sind."
Die islamischen Länder waren für geraume Zeit unter die Herrschaft christlich geprägter Kolonialherren oder Hegemonialmächte geraten. Die Länder sind inzwischen formell selbständig, die Kolonialherren aber sind immer noch da und bestimmen wesentlich die Geschicke vieler Länder mit. Dagegen regt sich Widerstand, der Orient wird selbstbewußter und besinnt sich seiner eigenen Wurzeln. Der große, der entscheidende kulturelle Wurzelstock dieser Länder ist - ja, klar, der Islam.
Die neue Blüte des Islam im Orient hat mit der Religion als solcher ziemlich wenig zu tun, der Islam ist lediglich das einigende Band dieser Länder. Wenn die islamischen Länder den prägenden Einfluß fremder Länder abschütteln wollen, dann ist der Islam ein treffliches Werkzeug dafür. Wie in allen Heiligen Büchern findest du auch im Koran alles, was du als Begründung für irgendwas brauchst und natürlich auch das direkte Gegenteil.
Daß der Islam auch ideologisch in vielen Fällen ziemlich rabiat auftritt, darf niemand verwundern. Man kann Fremdherrschaft nicht wegbeten.
Glaubt einer allen Ernstes, es wären die Lehren des Islam das Motiv für den Anschlag auf das World Trade Center gewesen und nicht die politische Situation zwischen den USA und den arabischen Ländern? Machen wir ein Gedankenexperiment und weiten wir die Achmed-Ali-Situation ins Allgemeine aus. Die USA und die arabischen Länder hätten ein gutes Verhältnis zueinander, lebten zumindest friedlich-schiedlich nebeneinander her. Die Araber hockten satt und zufrieden im Straßencafé und schlürften ihren Pfefferminztee. Und dann kommen einige Imame dahergewuselt, wedeln aufgeregt mit dem Koran und faseln was von Heiligem Krieg. Eine Weile hören sich die Araber das stirnrunzelnd an, dann stellen sie seufzend ihre Teetassen beiseite und erheben sich verärgert: "Also gut, na mach ma halt an Heiligen Krieg, damit a Ruah is."
Und ohne Islam gäbe es keine Anschläge? Denk wir uns also mal den Islam weg (im Kopf geht das ganz leicht). Mohammed ist als Kind von einer Schlange gebissen worden und dran gestorben, den Islam hat es nie gegeben, eine andere, sagen wir mal: kommodere Religion hat seine Stelle eingenommen, die heutige weltpolitische Lage wäre aber weiter so, wie sie es tatsächlich ist.
Wären dann tatsächlich die Twin-Towers nicht in Schutt und Asche gelegt worden, weil die Begründung aus dem Islam weggefallen wäre? Hätten die Initiatoren des Anschlags dann gesagt: "Tut uns wirklich leid, Jungs. Freilich wäre es politisch-militärisch eine gute Idee, die Türme anzugreifen, aber unsere Theo- und Ideologen finden und finden einfach keine moralische Begründung dafür. Das wird also nix."
Eine absurde Vorstellung. Natürlich findet man immer eine ethisch einwandfreie Begründung für das, was man tun will oder tut. So absurd kann die Begründung gar nicht sein, daß man sie nicht begeistert aufgriffe, wenn sie nur den eigenen Zielen dient.
Die Frage ob erst das materielle Interesse kommt und dann der Gedanke oder ob es sich umgekehrt verhält, ist entscheidend, ihre Beantwortung von höchster Relevanz. Eine falsche Diagnose wird nur zufällig zu einer erfolgreichen Therapie führen. Nun ist natürlich auch klar, daß die Beeinflussung in beide Richtungen geht. Selbstverständlich beeinflußt ein Gedanke, ist er erst mal in der Welt, das Handeln der Menschen.
Simple Erfahrung lehrt uns aber, daß Metzger nur ganz, ganz selten militante Vegetarier sind. Wenn sie Vegetarier sind, so betreiben sie das allenfalls als heimliches Laster. In Gemeinden, in denen ein Kernkraftwerk steht, die also von den Steuereinnahmen aus dem Kraftwerk ganz gut leben, ist die Quote der Kernkraftgegner bemerkenswert niedrig. In angrenzenden Gemeinden, in denen viele auf das Kraftwerk als Arbeitsplatz angewiesen sind, ist dieser Anteil schon etwas höher, aber immer noch sehr viel niedriger als im Bundesdurchschnitt.
Und nun erzähl mir nicht, daß diese Leute einfach anders denken als der Rest der Bevölkerung.
"Der Geist", sagt man, "weht wo er will." Ich halte das für ein wildes Gerücht. Das Denken paßt sich den realen Gegebenheiten an. Warum war im frühen 19. Jahrhundert der Norden der USA gegen die Sklaverei, während der Süden erbittert daran festhielt? Weil im Norden das Nachdenken über Menschenrechte und Gleichheit schon weiter fortgeschritten war?
Der amerikanische Süden lebte schwerpunktmäßig von seinen Plantagen, die am effektivsten und konkurrenzfähigsten durch Sklaven zu bewirtschaften waren. Im Norden gab es die großen Städte mit bereits relativ weit entwickelter Industrie. Für die Industriearbeit, mit all den konjunkturellen Schwankungen wären Sklaven, die ja, ökonomisch gesehen, gebundenes festes Kapitel sind, unbrauchbar gewesen. Sklaven muß ich auch in der Wirtschaftsflaute erhalten, wenn ich sie (und damit Kapital) nicht verlieren will. Für die Industriearbeit brauchst du dagegen den "freien" Lohnarbeiter, den du einstellst, wenn du ihn brauchst und den du wieder feuerst, wenn du ihn nicht mehr brauchst. Du kaufst dir deinen Sklaven nicht mehr, du mietest ihn nur.
Kämen Entscheidungen durch Nachdenken und Argumente zustande, so müßten wir unter Unternehmern einerseits und Gewerkschaftern andererseits in etwa gleich viel Leute finden, die für oder gegen saftige Lohnerhöhungen sind. Wir wissen alle, daß das nicht so ist.
Nimm an, wir beide wären in der Hand irgendwelcher Wüteriche und es würden diese bösen Menschen ankündigen, morgen würde einer von uns beiden erschossen und wir sollten drüber entscheiden, wer das sein sollte. Würden wir beide nun eine nette, entspannte Diskussion darüber beginnen, wer von uns beiden würdiger wäre, erschossen zu werden, so ist doch sehr zu vermuten, daß du mir großzügig den Vortritt ließest, während andererseits ich... Es ist klar, worauf ich hinauswill.
Etwas zugespitzt formuliert, geb ich zu: Wer religiöses Denken und Handeln verstehen will, der sollte sehr viel mehr von Ökonomie und Psychologie verstehen als von Theologie.
Denken ist nämlich ungemein geschmeidig, es paßt sich den vorgefundenen Umständen an. Und innere Widersprüche im Denken werden wegphilosophiert, gegebenenfalls auch schlicht ignoriert.
Nimm die Geschichte mit dem Allmächtigen und Allwissenden Gott. Eine ganz, ganz tolle Sache, über sich einen zwar manchmal zürnenden, im Grunde aber doch wohlwollenden Gott als Beschützer zu wissen, einen Gott, der alles, wirklich alles im Griff hat.
Dann aber werden in den Heiligen Schriften (aller drei monotheistischen Religionen) gnadenlos einige fundamentale Schnitzer dieses Allmächtigen und Allwissenden Gottes festgehalten. Schon das mit dem Paradies funktioniert nicht auf Dauer, dann läuft die Entwicklung noch weiter aus dem Ruder und Gott muß eine Sintflut schicken, die Menschheit auszuwischen und die Tafel neu zu beschreiben. Und danach hat's ja auch nicht hingehauen.
Daß er vor 2000 Jahren erst die Sache mit der Erlösung angeleiert hat, läßt doch auf einige Pannen im Weltenplan schließen. Oder, aus der Sicht der Moslems, ist er erst weitere 600 Jahre später drauf gekommen, daß er den Jungs und Mädels da unten doch endlich mal eine ordentliche Religion schenken sollte.
Dramaturgisch gesehen ist das Konzept des Allmächtigen und Allwissenden Gottes eine Sackgasse. Für Superman (immerhin nur sehr mächtig und nicht allmächtig) mußte man Superganoven erfinden, weil das Erledigen der normalen Ganoven für so einen Superhelden auf Dauer doch etwas leicht und damit für den Leser langweilig geworden wäre. Für Gott mußte man den Teufel als Gegenspieler erfinden, ein Konzept, das aber auch nicht wirklich überzeugt, denn Gott bräuchte ja bloß - wie weiland die "Bezaubernde Jeannie" mit dem Finger zu schnipsen und Satan hätte ausgeteufelt. Daß Gott nicht schnipst heißt lediglich, daß ihm der Teufel durchaus ins Konzept paßt.
Wer außerhalb der monotheistischen Religionen steht, dem fällt der Widerspruch sofort auf, wer drinnen ist, wird sich was einfallen lassen. Gerne genommen wird das Argument, die Geschichten in den Heiligen Schriften seien ja nur Geschichten, die dürfe man nicht so ernst nehmen. Andererseits, klar, sind die Heiligen Schriften das geoffenbarte Wort Gottes, also sehr ernst zu nehmen. Auf dieser Wucht des geoffenbarten Wortes Gottes beruht die ganze Autorität dieser Religionen...
Es ist ein Jammer.

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